Eine Legende in der Familiengeschichte

1. Forschungsbericht von Heinz Axthelm, Februar 1938.

Hier klicken, um das Original-Dokument zu betrachten


Wie eine Legende in der Familiengeschichte zustande kommt.

  1. Die Legende.

  2. Die geschichtliche Aufklärung.

1. Die Legende:

Seit Generationen gingen merkwürdige geheimnisvolle Reden um in den Familien Axthelm. Die Großmutter gab sie den Kindern weiter, diese ihren Kindern und so kam bei jedem Weitererzählen ein Quäntchen Legende mehr dazu, der eine änderte, der andere erweiterte, und so kamen schließlich mehrere Legenden bis auf unsere Tage, die alle von einer rätselhaften und sehr geheimnisvollen „Schwedenherkunft“ des Geschlechts Axthelm erzählten. Phantastische Vermutungen tauchten auf, und viele Träger des Axthelmschen Namens fühlten sich mehr oder weniger bewusst von einem heimlichen Ehrfurchtsschauer vor der sicher sehr bedeutungsvollen schwedischen Herkunft aus grauen Vorzeiten ergriffen. Dazu kam, dass immer und überall den Trägern des Namens Axthelm gesagt wurde: „Ihr Name klingt so schwedisch! Stammen Sie aus Schweden?“ Ja noch mehr: als mein Vater, der Lehrer Thilo Axthelm, an einem bakteriologischen Kursus in Berlin teilnahm und dort mit 20 schwedischen Chemikern zusammentraf, wurde ihm mit verblüffender Bestimmtheit von diesen Schweden einstimmig gesagt: „Ihr Geschlecht stammt aus Schweden! Ihr Name ist schwedischer Herkunft!“ Wer wollte aufgrund solcher Aussagen noch daran zweifeln, dass unser Geschlecht tatsächlich aus Schweden stammt. Kein Wunder,dass jetzt die Fragen auftauchten: „Wann ist das Geschlecht Axthelm nach Deutschland gekommen? Welches war der Anlass? Und wo ist der Ursprung dieses Geschlechts Axthelm in Schweden zu suchen? Sogar verschiedene Wappen, Phantasieentwürfe entstanden auf dieser Basis.

Ich selbst wäre als sensationslüsterner Primaner auch beinahe diesem Märchen verfallen, wenn mich nicht das zahlreiche Vorkommen des Namens Axthelm in der Zeit um 1600 in den Kirchenbüchern von Bachra, Ostramondra, Rettgenstedt, Olbersleben und Lossa stutzig gemacht hätte. Da die Legenden fast durchweg von einer Einwanderung z. Zt. des 30-jährigen Krieges erzählten, erhob sich damit ein scharfer Widerspruch; diese Erwägungen veranlassten mich, sofort in Schweden Nachforschungen anzustellen.

Zunächst die zwei verbreitetsten Legenden:

a) Meine Großmutter Axthelm erzählte uns – unter Berufung auf ein Schreiben einer Wahrsagerin! – dass im 30-jährigem Krieg mit den Heeren Gustav Adolfs 2 Brüder Axthelm über die Insel Rügen von Schweden nach Deutschland gekommen seien die adliger Herkunft waren, nach Gustav Adolfs Tode und dem Rückzug der schwedischen Heerhaufen in Deutschland zurück blieben und sich eine Zeit lang als Schäfer an der friesischen Küste aufhielten. Diese beiden Brüder Axthelm seien hünenhafte, blonde, blauäugige Gestalten gewesen. Nach Ausgang des 30 jährigen Krieges seien beide Brüder südwärts gewandert, der eine sei in Mitteldeutschland im Unstrutgebiet hängen geblieben, habe dort in eine Bauernwirtschaft eingeheiratet und sei auf diese Weise der Stammvater des mitteldeutschen Geschlechts geworden.

Der andere sei weiter südwärts gewandert, habe in Bayern geheiratet, Frau und Kinder und Hof verlassen und sei nach Siebenbürgen gewandert, wo er ein neues Geschlecht begründet hat.

Stockholmer Blutbad - Quelle: Wikipedia

Stockholmer Blutbad – Quelle: Wikipedia

b) Weit interessanter und viel mehr geschichtlich fundiert ist die Familienlegende, die in dem bayerischen Adelsgeschlecht von Axthelm (das eine Abzweigung des mitteldeutschen Bauerngeschlechts Axthelm ist) seit Generationen überliefert ist. Sie sei hier in kurzen Zügen wiedergegeben: Das Auftauchen des Geschlechts Axthelm in Deutschland hängt mit den Kämpfen des schwedischen Adels gegen die schwedische Krone zusammen, die zu Anfang des 16. Jahrhunderts begannen und mit dem sogenannten Stockholmer Blutbad 1520 ihren Abschluss fanden. Dabei wurden durch die Hinterlist des Schwedenkönigs Christian II., Enkel des dänischen Königs Christian I., achtzig schwedische Aristokraten in einen Hinterhalt gelockt und hingerichtet; ihre Familien wurden des Landes verwiesen.

Die zweite Adelsverschwörung führte im Jahre 1792 zur Ermordung des Schwedenkönigs Gustaf III. (1771 – 1792) auf einem Maskenball im Opernhaus zu Stockholm. Die Tat führte ein Anführer der Adelspartei, ein Graf von Anckarström, aus. Dieser Anckarström, soll einer Familienlegende zufolge der Schwager eines Herrn von Axtjölm gewesen sein, der mit im Komplott gestanden habe. Ferner wird ein Adliger Löwenskiold als bei diesem Komplott beteiligt, genannt. Den beteiligten Familien sollen die Güter eingezogen, die Stammbäume (1* siehe unten folgende Aufklärung) vernichtet, die Adelsbriefe verbrannt und der Verbleib in Schweden verboten worden sein. Dies sei durch Gustaf IV. Adolf (1792-1809) verfügt worden. Die Familie Axthelm sei mit einem Zweig über Rügen nach Deutschland gekommen und habe sich zuerst in Sachsen (Vogtland) niedergelassen.

Soweit die Legende.

An sie knüpft nun unmittelbar die geschichtlich wirkliche Familientradition des bayerischen Adelsgeschlechts von Axthelm an: in der napoleonischen Zeit kam von Sachsen Johann Andrä von Axthelm, kurfürstlich-sächsischer Grenadier-Hauptmann im Regiment Prinz Clemens Infanterie an den Hof nach München und stand als Generalstabsoffizier in bayerischen Diensten bis er in der Schlacht bei Lofer (Tirol) verwundet und dann im diplomatischen Dienst verwendet, die Organisation des bayerischen Postwesens übernahm. Er war verheiratet mit Friederike Charlotte Tugendreich geb. von Krashan (auch Krassow geschrieben) aus dem Hause Svaikvitz, älteste Tochter des kurfürstlich-sächsischen Majors Raben Bugislaus von Krashan und seiner Frau, einer geborenen von Bornsdorff und starb im Jahre 1821.

Wie verhält es sich nun mit dieser sogenannten Schwedenabstammung, und wie sieht die geschichtliche Wirklichkeit aus?

Nachdem ich bei verschiedenen genealogischen Instituten Deutschlands (so in Leipzig, Dresden und Berlin) Nachfrage gehalten hatte, die ohne jeden positiven Erfolg nur größere Zweifel heraufbeschwor, wandte ich mich direkt an die genealogischen Institute in Stockholm und Uppsala (schwedische Schreibweise) mit der Anfrage, ob in Schweden in Gegenwart und Vergangenheit ein Geschlecht des Namens Axtjölm existiert habe.

Darauf bekam ich von dem „Genealogiska Byrån“ aus Uppsala folgenden Bescheid: „In Beantwortung Ihrer Anfrage kann ich nur sagen, dass ich von einem schwedischen Geschlecht Axthelm keine Kenntnis habe. Dieser Name ist nicht in den Stammbüchern, nicht in genealogischen Sammlungen zu finden. Dagegen hat es hier ein Adelsgeschlecht Axehielm gegeben. Johann Hinderson, der Sohn eines Kaufmanns in Norrköping, wurde 1651 geadelt und seitdem Axehielm geheißen. Er ist im Jahre 1692 gestorben, und da er keine männlichen Nachkommen hinterließ, ist dieses Geschlecht mit dem Gründer ausgestorben.“

Was ich schon immer vermutete, wurde mir damit bestätigt, nämlich: unser Geschlecht hat seinen Ursprung nicht in Schweden, sondern in Deutschland. Damit schaltete ich zunächst die sogenannten Schwedenlegenden aus und machte mich mit meinem Vater daran, die Kirchenbücher der Orte durchzuarbeiten, in denen der Name Axthelm häufiger vorkommt: Bachra, Ostramondra, Rettgenstedt, Olbersleben und Lossa. Auf diese Weise bekamen wir eine klare Übersicht bis 1591 und mussten feststellen, dass das Geschlecht Axthelm schon um 1500 ein altansässiges Bauerngeschlecht in Deutschland, und zwar im Unstrut-Winkel zwischen Kölleda und Laucha war. Alle bisher festgelegten Linien haben ihren Ausgang von einem der oben genannten Ortschaften genommen. (Außerdem erwähnt das Wehrregister von Hardisleben vom Jahre 1555 vier Bauern namens Axthelm und die Matrikel der Universität Erfurt von 1633 zwei Studenten, aus Neuhausen stammend).

Somit war zwar das Mitteldeutsche Geschlecht Axthelm (vor 1640 Axhelm) einwandfrei als altes Thüringer Bauerngeschlecht nachgewiesen, aber die Herkunft des Bayerischen Adels blieb zunächst noch in geheimnisvolles Dunkel gehüllt.

Ich machte verschiedene Ansätze, die Vorgeschichte dieses Geschlechts aufzuhellen, nahm fest an, dass es irgendwie mit dem altthüringer Geschlecht zusammenhängen müsse, konnte aber nie recht hinter dies Geheimnis kommen. Als ich schließlich immer wieder die alten Akten des Prinz Clemens Infanterie-Regiments, das seinen Standort in Langensalza und Sangerhausen hatte, nachprüfen ließ, entdeckte ich eines Tages selbst in dem Werk von Aster („Liste derjenigen Offiziere, welche ihrer Könige und Herrn treu blieben“ – Beleuchtung der Kriegswirren zwischen Preußen und Sachsen von Ende August bis Ende Oktober 1756) einen Sousleutnant Axthelm. Ich witterte plötzlich die Spur zur Aufdeckung des Geheimnisses. Und richtig! Auf Grund von Nachforschungen beim Kriegsarchiv in Dresden bekam ich einen Auszug aus einer Muster- und Konduitenliste, der den Todestag, Geburtstag, Geburtsort usw. des Kapitän Johann Andrä Axthelm genau nachwies. Der Johann Andrä stammte aus Ostramondra bei Kölleda und war Sohn des Johann Christoph usw.

Ich verglich mit meinem Vater sofort die Kirchenbücher von Ostramondra und konnte die Richtigkeit der Angaben feststellen. Nur eins war sonderbar: ausgerechnet bei der Geburtseintragung des Joh. Andrä war kein Taufname eingetragen; es stand lediglich: Johann Andreas Axthelm, Richter zu Ostramondra ein Sohn geboren. Da aber kein Axthelm dieses Vornamens zu finden ist und die Daten zueinander passen, muss der Johann Andrä dieser Sohn des Joh. Andreas gewesen sein. Der Altersunterschied von 3 Jahren (nach dem Dresdner Register war Johann Andrä 3 Jahre später geboren) ist unwesentlich, weil er aus der Altersänderung anlässlich der Beförderungsaussichten zu damaliger Zeit zu erklären ist (siehe 1*).

So fand die Schwedenlegende ihre Aufklärung.

 

2. Die geschichtliche Aufklärung.

Wie ist der wirkliche Sachverhalt der Schwedenlegende zu erklären?

Aufgrund der Aufgebotserklärung im Kirchenbuch von St. Jakobi / Sangerhausen, die folgenden Wortlaut hat: „Den 27 . Martius 1769 wurde auf allergnädigsten Befehl Dispens im Hause ohne Aufgebot copuliert: Herr Johann Andreas Axthelm, Premierleutnant bei dem Prinz Clemensschen Infanterie-Regimente mit Fräulein Charlotte Friederica Tugendreich von Krashan, des Herrn Capitain Raben Bugislaus von Krashan älteste Fräulein Tochter“, war einwandfrei festzustellen, dass dieser Johann Andreas der später erwähnte Capitain Johann Andrä Axthelm war. Da er in jungen Jahren (vermutlich im 13. Lebensjahre) seinen Geburtsort Ostramondra verließ und später im Prinz Clemens-Infanterie-Regiment als Sousleutnant auftaucht, wird er keine rechtmäßigen Papiere besessen und keine Verbindung mehr mit seiner Heimat gehabt haben. Auf diese Weise war seine bäuerliche Herkunft negiert. Er verehelichte sich mit einem adeligen Fräulein, gewann so den Zugang zu den höheren Offizierskreisen, kam in der napoleonischen Zeit an den Hof nach München, stand als Generalstabsoffizier in bayerischen Diensten, bis er in der Schlacht bei Lofer (Tirol) verwundet und dann im diplomatischen Dienst verwendet, die Organisation des Bayerischen Postwesens übernahm.

Für seinen Sohn Ernst Gottlob Heinrich Axthelm wurde danach am 13. April 1814 die bayerische Adelsernennung in München ausgesprochen und am 18. Juni 1814 der Adelsmatrikel einverleibt (Ernst Gottlob Heinrich Axthelm war Königlich bayrischer Oberpostmeister in Nürnberg, Besitzer der Güter Reichenschwend, Oberndorf und Leuzenberg). Mit der Adelsanerkennung wurde der Familie auch ein Wappen zu eigen gegeben, das einzig und allein rechtlicher Besitz dieses Zweiges ist und von keinem anderen Träger des Namens Axthelm beansprucht werden darf.

Dass es zu der Legende von der Herkunft unseres Geschlechts aus Schweden kommen konnte, hatte also seine Ursache in dem Aufstieg des Bauernsohnes Johannes Andreas zu dem Capitain Johann Andrä Axthelm, der zufolge seiner Einheirat in eine Adelslinie die Voraussetzung der Erhebung seines Geschlechts in den Adelsstand schuf. Seinem Sohn wurde dann später – wie oben berichtet – offiziell der Briefadel verliehen. Seitdem existiert ein Adelsgeschlecht von Axthelm und – die sogenannte „Schwedentradition“.

Die in Schweden häufig vorkommende Endung -helm und die Tatsache, dass spätere Generationen nicht mehr wussten, wo ihr Ahne Johann Andrä geboren war, ließen allerlei geheimnisvolle Vermutungen aufkommen, die schließlich dazu führten die zeitlich gut passende zweite Adelsverschwörung in Schweden 1792 in Zusammenhang mit der dunklen Vorgeschichte des Johann Andrä zu bringen, zumal ja in den schwedischen Geschichtschroniken davon die Rede ist, dass die Stammbücher und Adelsbriefe der beteiligten Verschwörer vernichtet wurden.

Es steht also fest, dass sowohl das mitteldeutsche Bauerngeschlecht Axthelm und das bayrische Adelsgeschlecht von Axthelm einem gemeinsamen urdeutschen Bauerngeschlecht entstammen. Dass sich ein Zweig aus kleinsten Anfängen zu einem angesehenen und gegenwärtig im Aufbauwerk der jungen deutschen Wehrmacht aktiv beteiligten Adelsrang empor gearbeitet hat ist nicht nur ein Ruhm für diese Geschlechterreihe, sondern eine ehrende Tatsache für das gesamte Geschlecht Axthelm und verdienstvoller, als eine geheimnisvolle, undurchsichtige Schwedenherkunft.

„Dem Verdienste folgt der Ruhm, wie der Schatten dem Körper.“ (Seneca)

„Solang du wallst auf Erdenbahnen,

dem Irrtum, Freund, entgehst du nicht;

doch lässt dich Irrtum Wahrheit ahnen,

Irrtum ist Farbe, Wahrheit ist Licht.“

(Geibel)

Eilenburg, im Februar 1938.        Heinz Axthelm


Hier geht es zum nächsten Forschungsbericht